Was war los in Deutschland 1920
Bei der Gründung des Gesellenvereins in Hannoversch Münden am 19. April 1920 herrschten sehr unruhige Zeiten in Deutschland. Der erste Weltkrieg war am 11. November 1918, nur 525 Tage (1 Jahr, 6 Monate und 7 Tage) davor mit dem Waffenstillstand zu Ende gegangen. Besonders die Bedingungen vom Friedensvertrag von Versailles, am 28. Juni 1919 unterschrieben und am 10. Januar 1920 in Kraft getreten, sorgten für viel politische Unruhe und gewalttätige bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in Deutschland. Ganz nahe am Gründungsdatum war der
Kapp-Putsch am 13. März 1920,
nur 37 Tage davor. Dieser misslungene Putsch der nach 5 Tagen beendet war, wollte die von SPD, Zentrum und DDP getragene Regierung unter Gustav Bauer (SPD) stürzen und die (Weimarer) Republik abschaffen.
Die Mehrheit der Katholiken in Deutschland fühlte sich damals der Zentrumspartei zugehörig und empfand diese Ereignisse sicherlich als sehr bedrohlich. Die Versammlung vom 18. Februar 1921 fällt wegen einer Zentrumsversammlung aus! [1]
Wie informierten sich die Leute?
1920 gab es in Deutschland noch keinen Rundfunk. Fernsehen war nicht ansatzweise erfunden, geschweige, dass irgendjemand verstanden hätte, was man mit dem Wort meint. Noch am 22. Januar 1925 hielt ein Kolpingsbruder in einer Versammlung einen Vortrag über „Schall-Radio“ [6] und das Patent für Fernsehen wurde 1925 angemeldet.
Die Leute „wussten Bescheid“ aus der Zeitung und vom Hören sagen. Interessierte besuchten sicherlich auch regelmäßig Informationsveranstaltungen von politisch aktiven Organisationen. Aus solchen kamen die Zuhörer dann aber mit mehr Emotionen als Informationen heraus.
Zu was das in den nachfolgenden 25 Jahren geführt hat wissen wir jetzt.
Die Schwierigkeiten der Zeit erscheinen indirekt in den Protokollen von 1920:
Der zuerst angesetzte Termin für das Gründungsfest auf dem 6. Juni (in der Versammlung vom 29. April) musste in der Versammlung vom 5. Mai wegen der Reichstagswahl auf den 20. Juni verschoben werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Vereinsmitglieder am 29. April von diesem Termin nichts gewusst haben sollten, sodass es wohl so ist, dass diese Reichstagswahl sehr kurzfristig angesetzt war; [2][3]
Abschiedsfest am 19. September: Es wurden 9 Vereinsmitglieder zur Reichswehr, wohl unerwartet, einberufen; [4]
In der Versammlung am 28. Oktober muss der Begin der Versammlungen schon auf 20 Uhr festgelegt werden, weil die Polizeistunde auf 22Uhr festgelegt werden sollte. Originaltext im Protokoll: „Während der Wintermonate und der bevorstehenden Verfügung der Polizeistunde bis 10 Uhr ab, fangen die Versammlungen von jetzt ab wieder um 8 Uhr an.“ [5]
In der nachfolgenden Zeit ist von dieser Polizeistunde allerdings nichts zu merken. Besonders 1921 dauern Veranstaltungen öfters länger als 22 Uhr, vor allem die Feier.
Joseph Lemoine, Archivar (2012)
Kolpingsfamilie Hann. Münden
[1] Protokollbuch I, Seite 73
[2] Protokollbuch I, Seite 8
[3] Protokollbuch I, Seite 12
[4] Protokollbuch I, Seite 53
[5] Protokollbuch I, Seite 59
[6] Protokollbuch I, Seite 190