Der Berliner Hof wird zum Concordia
In der Generalversammlung vom 26. Februar 1924 teilt der Präses (Pfarrer Engelhardt) mit, dass der „Berliner Hof“ mit gesamtem Inventar vom Fabrikanten W. Schröder für 23.000 ℳ, gekauft wurde. [1]
Bezüglich dieses Kaufpreises: Bei der Währungsreform am 15. November 1923 wurde die Rentenmark mit einem Kurs von 4,20 ℳ = 1 US $ eingeführt, siehe Fußnote.
Dieses Anwesen befand sich an der Ecke der damaligen „Alte Bahnhofstraße“, jetzt „Am Feuerteich“ und der „Casseler Chaussee“, jetzt „Kasseler Landstraße“, direkt an das Wasser- und Schifffahrtsamt grenzend. [2]
Das Foto ist ein Durchblick durch das „Obere Tor“, etwa beim Torwärterhaus neben der Rotunde. Es wurde im Geschäft „Foto Burkhardt“ gekauft. Vermutlich ist es ein Foto, welches vom Großvater des heutigen Geschäftsinhabers aufgenommen wurde, es gibt aber keinerlei Angaben darüber wann es aufgenommen wurde.
Das Foto muss von vor 1914 stammen, möglicherweise Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Das geht aus der Kleidung der dargestellten Personen hervor, wie auf der Vergrößerung erkennbar ist.
Die Inschrift an der Frontseite lautet „Zum Berliner Hof“, „Eduard Küllmer“ und „Restaurant, Billard und Gartenwirtschaft“.
Zu sehen ist ebenfalls das angrenzende Nachbarhaus in Richtung Feuerteich, was dem KGV nicht gehört hat aber beim Ausbau der Kreuzung (1980) ebenfalls mit abgerissen worden ist.
Auf dem Satellitenbild ist die genaue Kontur von diesem ehemaligen Anwesen sowie die des erwähnten Nachbarhauses eingezeichnet.
Die Daten dazu gehen zurück auf eine Reinkarte im Archiv des Katasteramtes in Göttingen [2]
Links-unten ist das Pförtnerhäuschen der Firma Haendler & Natermann. Rechts im Bild erkennt man das Wasser- und Schifffahrtsamt Hannoversch Münden.
Der Pin links ist die Position der Kamera womit obiges Foto aufgenommen wurde.
Die Wirtschaft hatte eine Kegelbahn und einen Biergarten [3]. Die Kegelbahn ist in der Kontur deutlich erkennbar und reichte bis auf 3 m an das Wasser- und Schifffahrtsamt heran. Der Biergarten geht auch aus der Inschrift an der Frontseite im Foto oben hervor („Gartenwirtschaft“). Er muss sich hinter der Mauer entlang der Kasseler Landstraße, auf dem Foto erkennbar, befunden haben, weil das Flurstück auf der anderen Seite, an der Kegelbahnmauer grenzend, laut Reinkarte vom Katasteramt komplett zum Nachbarhaus gehörte.
Die Einweihung war am Sonntag, den 21. September 1924 und die erste Versammlung des KGV fand am 25. September in diesem eigenem Vereinshaus statt, nachdem es in der Generalversammlung vom 11. September in „Concordia“ umgetauft wurde. Der neue Name war ein Vorschlag vom Präses Pfarrer Engelhardt und wurde einstimmig angenommen. [4]
Das Foto stammt vom Juli 1980 [5], ein paar Tage bevor es abgerissen wurde. Das Nachbarhaus, was stets der Stadt gehörte, ist schon abgerissen.
Das Concordia ist am 6. Februar 1980 an die Stadt verkauft worden [6] und wurde im Juli 1980 abgerissen. In der Zwischenzeit war schon das neue Kolpinghaus in der Ziegelstraße bezogen; es wurde am 5. November 1979 gekauft [7].
Im Laufe der Jahre gab es verschiedene Änderungen am Concordia. Die Litfaßsäule und die Verkehrsschilder sind selbstverständlich neuerem Datums. Markante Änderung war auch, dass die Tür an der Kasseler Landstraße, auf dem ersten Foto zu sehen, zugemauert und durch ein Fenster ersetzt wurde.
Der Biergarten und die Kegelbahn waren zuletzt nicht mehr in Betrieb, die Kegelbahn wahrscheinlich überhaupt nie. Das Hinterhaus über der Kegelbahn, die in dem Gutachten von der Stadt als „Holzställe“ bezeichnet wird [8], war aber bis zuletzt bewohnt. In der notariellen Verkaufsakte [7] wird dies korrekterweise erwähnt, weil die entsprechenden Mietverträge aufgelöst werden mussten.
Die Vorgeschichte vom Concordia
Der „Berliner Hof“ hieß nicht immer „Berliner Hof“. Was wir darüber wissen stammt aus einem Artikel vom 15. Dezember 1984 von Dr. Karl Brethauer in der Mündener Allgemeinen [9].
Zusammen gefasst folgende Daten daraus:
Am 20. Januar 1749 wird das Haus erstmals unter dem Namen „Zum goldenen Anker“ aktenkundig. Es wird als Bestandteil einer Erbschaft von unmündigen Erben Rosenbachs an einen Gastwirt Namens Lüdemann verkauft. Das Haus muss also viel älter als 1749 sein. Das Gutachten vom Katasteramt Göttingen [8] bewertet lediglich „der Baukomplex ist ca. 200 Jahre alt“.
In 1793 wird es wieder von den Nachfahren Lüdemann‘s an einem Herrn Lotze verkauft. Am 24. Februar 1802 findet eine Versteigerung vom Mobiliar statt, offenbar weil der Betrieb in Konkurs gegangen war.
Erst 1810 gibt es einen neuen Anfang unter dem Namen „Stadt London“, der Besitzer war Friedrich Utermöhlen. Am 6. Mai 1860 lädt eben dieser noch zum Tanz. Dann gibt es einen Gastwirt Namens Pöhnert der die Gastwirtschaft 1868 an einem Herrn Haasemann, sein Schwiegersohn, übergibt.
1882 wird es an die Firma Nathan Moses verkauft und in „Berliner Hof“ umgetauft. Es gibt dann einen häufigen Besitzerwechsel, verschiedenen Brauereien. 1896 lässt der Gastwirt Josef Schieffer das Haus durch einen Anbau vergrößern.
1898 Gastwirt Eduard Küllmer. Auf dem Foto von Burkhardt erscheint eben dieser als Gastwirt auf der Fassade des Hauses.
Weiterhin gibt es verschiedene Besitzer, bis zuletzt „Ingenieur und Fabrikbesitzer Willy Schröder“, von wem Kolping das Haus in Februar 1924 kauft (Brethauer erwähnt fälschlicherweise das Datum der Einweihung am 21. September 1924 als Verkaufsdatum).
Fußnote zum Kaufpreis vom „Berliner Hof“
Das Haus wurde im Februar 1924, 2½ Monate nach der Währungsreform gekauft. Laut Wikipedia zum Thema „Hyperinflation 1923“ wurde die neue „Rentenmark“, die später zur „Reichsmark“ wurde, am Stichtag 15. November 1923 mit einem Wechselkurs 1:4,2 zum US $ eingeführt. Das entsprach auch das Verhältnis von der „Papiermark“ zum US $ am 1. Juli 1914, wobei zu dem Zeitpunkt 1 Papiermark = 1 „Goldmark“ war.
In welcher Währung die 23.000 Mark war, ist aus dem Protokolleintrag nicht zu entnehmen. Zudem wird in der nächsten Versammlung am 6. März 1924 über eine Berichtigung des Kaufpreises gesprochen, ohne konkrete Angaben darüber. Leider sind weitere Unterlagen über diese Transaktion verloren gegangen. Im Kolpingarchiv gibt es kein weiteres Dokument darüber.
Deswegen hier den Versuch diese Summe nach zu vollziehen.
In der Versammlung vom 6. Dezember 1923 wurden die Beiträge das erste Mal nach der Währungsreform auf 15 Pf pro Monat festgesetzt und zwar in „Goldmark“: „Unter verschiedenen teilte der Vizepräses mit, dass die Umstellung der Sparkasse auf Goldmark, desgleichen die Beitragsfestsetzung in Goldmark wie auch das Vereinskonto selbst geschehen soll. Die Beiträge für Gesellen betragen nun 15 Pf pro Monat, die der Jünglinge 10 Pf pro Monat.“. [10]
Unter „Goldmark“ ist hier wahrscheinlich die neue „Rentenmark“ gemeint. Es belegt dann aber, dass zu dem Zeitpunkt keine große Zuversicht in der „neuen“ Mark bestand.
Was hier mit Goldmark gemeint ist, kann man aus einem anderen Ereignis im Jahre 1923 schließen. Am 29. August 1923 gab es eine besondere Generalversammlung die, so wie im Protokollbuch extra betont, wirklich von allen Mitgliedern, Ehrenmitgliedern, Jünglingen und sogar von Gästen aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet besucht wurde. [11]
Auf diese Versammlung erschien nämlich niemand weniger als der Generalsekretär des K.G.V. aus Köln und sein 2. Mann. Anlass war eine Beschwerde von durchreisenden Gesellen: „Er brachte einen Punkt der Tagesordnung vor, der die Frage der Beherbergung durchreisender Mitglieder behandelte. Bei den letzten Durchreisenden hatte der Logiemeister einen übernormalen Preis verlangt und auch erhalten. (Einen Friedenspreis von 1 Mark für Essen und Schlafen.)“.
Da der hiesige Kolpingverein noch kein eigenes Haus hatte, mussten durchreisende Gesellen laut Satzung offensichtlich bei privaten Leuten untergebracht werden, zu dessen Organisation ein „Logiemeister“ zuständig war.
Bemerkenswert hierin ist natürlich die Aussage: „Einen Friedenspreis von 1 Mark für Essen und Schlafen.“. Mitte in der Hyperinflation, - auf der gleichen Generalversammlung erbrachte eine Sammlung für den Verband zum Schluss 5 Millionen Mark - , ist 1 Mark natürlich nichts.
Gemeint ist hier offensichtlich der Wert der Mark am 15. Juli 1914, - vor dem Krieg, also „Friedenspreis“ -. Man rechnete während der Inflation wohl inoffiziell mit diesem Wert wobei die „Papiermark“ am 15. Juli 1914 = 1 „Goldmark“ wert war.
Die Währungsreform am 15. November 1923 richtete sich auch danach.
Nach der Währungsreform und bis zum Hauskauf gab es allerdings erneut 2 Beitrags-„Festsetzungen“, eine am 4. Januar 1924, ohne Angabe wie hoch, und eine am 7. Februar auf 50 Pf pro Monat, allerdings nach lebhafter Debatte. [12]
Nimmt man letztere Angabe an, so betrug der Kaufpreis vom Berliner Hof 46.000-mal den Monatsmitgliedsbeitrag. Derzeit (2012) beträgt unser Mitgliedsbeitrag 3,50 € pro Monat, das Haus wurde somit nach heutigen Verhältnissen 161.000 € gekostet haben. Das ist dann wirklich ein Schnäppchen gewesen.
Setzt man dagegen den Beitrag von Dezember 1923 an, wurde der Kaufpreis entsprechend 537.000 € betragen haben. Das ist wiederum unwahrscheinlich hoch, weil der Verein kein Eigenkapital hatte und einen entsprechenden Kredit aufnehmen musste. Da umgekehrt die Inflation nach der Währungsreform eigentlich beendet war und zumindest innerhalb von 2 Monaten nicht so gravierend hat sein können, muss man wohl annehmen, dass die Mitgliedsbeiträge vom Dezember zu niedrig angesetzt waren und deswegen die Beitragserhöhungen Anfang des Jahres 1924 erforderlich waren. Es herrschte damals die allergrößte Verwirrung darüber, was das Geld wert war.
Das lässt sich auch durch weitere Angaben im Laufe des Jahres 1924 belegen. Am 3. Juli 1924 wird für ein Sommervergnügen am 6. August geplant und unter anderem die Eintrittsgelder festgesetzt: „Der Eintritt kostet pro Person 160,50 , das Tanzen weitere 160,50 für Herren.“. Keine Angaben bezüglich der Währung! Wenn das die gleiche Währung wäre wie die 23.000 Mark beim Hauskauf, wurde letzteres ein Hyper-Schnäppchen gewesen sein. [14] Dagegen spricht aber die Planung am 28. August 1924 für das Einweihungsfest: „2) Für den festlichen Einzug in das Haus ist für den 21. September ein gemütlicher Abend gedacht im Kreise der Vereinsangehörigen, zu dem von jedem Teilnehmer ℳ 2,- für ein Essen und Getränke zu entrichten ist.“. [15] 2 Mark sind vergleichbar mit dem Mitgliedsbeitrag von 50 Pfennig pro Monat im Januar.
Übrigens ist unser Mitgliedsbeitrag von 3,50 € pro Monat auch heute in etwa der Tagespreis eines großen Glases Bier; im Januar 1923 wurde wegen der unkalkulierbar gewordenen Inflation der Mitgliedsbeitrag „schwimmend“ auf dem Tagespreis eines solchen festgenagelt: “Der monatliche Beitrag muß abermals erhöht werden. Um darüber den fortschreitenden, andauernden Beschlüssen aus dem Wege zu gehen wird festgesetzt, dass von jetzt ab der Beitrag gleich dem Preise von 1 gr. Glas Bier sein soll, wie es auch in vielen anderen Vereinen üblich ist. Es wird der zu Anfang der Monat bestehende Preis angenommen, der z. Z. ℳ 80,- beträgt.“. [13]
Beim Verkauf vom Concordia an die Stadt Anfang 1980 hat der Verein 490.000 DM dafür bekommen. [6]
Joseph Lemoine, Archivar (2012)
Kolpingsfamilie Hann. Münden
Quellen-Nachweis:
[1] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 166-168
[2] Nach einer alten Reinkarte aus dem Archiv vom Katasteramt in Göttingen (offiziell Katasteramt Northeim)
[3] Mündlich K.-H. Böhmer, der das Haus noch gut gekannt hat und in der notariellen Verkaufsakte [6] als Mitunterzeichner erscheint
[4] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 181-183
[5] Foto von K.-H. Böhmer, fotografiert „bevor wir in Urlaub gefahren sind. Als wir zurückkamen, war es weg“.
[6] Notarielle Verkaufsakte „Concordia“
[7] Notarielle Verkaufsakte „Rathausschänke“
[8] Gutachten mit Datum 20. Februar 1979 vom Katasteramt Göttingen für die Stadt Hannoversch Münden erstellt. Dieses Gutachten war die Grundlage für die Verhandlungen mit der Stadt.
[9] Dr. Karl Brethauer , Artikel in der Mündener Allgemeine vom 15. Dezember 1984
[10] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 162
[11] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 154
[12] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 165 und 166
[13] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 140
[14] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 177
[15] Protokollbuch I (1920–1925) Seite 180