Das Ver­hält­nis von Kol­ping in Han­no­versch Mün­den zu Rechts­ra­di­ka­len

1. In den An­fangs­jah­ren

Der Ge­sel­len­ver­ein in Han­no­versch Mün­den wur­de am 19. April 1920 in der hei­ßen Pha­se nach dem in Kraft tre­ten des Ver­sail­ler Ver­tra­ges am 10. Ja­nu­ar 1920 ge­grün­det.

Vie­le heim­ge­kehr­te Front­kämp­fer konn­ten sich mit der Nie­der­la­ge über­haupt nicht ab­fin­den. Au­ßer­dem wa­ren die Ver­trags­be­din­gun­gen von den Sie­ger­mäch­ten sehr welt­fremd und un­re­a­lis­tisch „auf­ge­brummt“ wor­den; sie dach­ten in Ka­te­go­ri­en von Be­stra­fung, - man kann es auch Ra­che nen­nen - nicht auf der Su­che nach ei­ner kon­flikt­frei­en Ent­wick­lung in ei­ner fried­lich­en Zu­kunft.

Übri­gens wa­ren auch ei­ni­ge Ver­eins­mit­glie­der aus der ers­ten Zeit heim­ge­kehrte Sol­da­ten, so­gar min­des­tens ei­ner noch im­mer bei der Reichs­wehr in Dienst. Das geht aus dem Be­richt zum Ab­schieds­fest der Sol­da­ten am 19. Sep­tem­ber 1920 [1] her­vor. Es wer­den dort 9 Mit­glie­der aus dem jun­gen Ver­ein, der erst seit 6 Mo­na­ten be­stand, wie­der ent­las­sen weil sie zur Reichs­wehr ein­be­ru­fen wur­den.

Die Re­gie­rung der Deut­schen am 19. April 1920, be­ste­hend aus ei­ner Ko­a­li­ti­on von SPD, Zen­trum und DDP un­ter Gus­tav Bau­er (SPD) war, viel­leicht zwar zähne­knir­schend, den­noch be­reit die­se Be­din­gung­en zu er­fül­len.

Das wur­de von vie­len Deut­schen als Ver­rat auf­ge­fasst und stei­ger­te den Hass so sehr, dass es zu bür­ger­kriegs­ähn­lich­en Aus­ein­an­der­set­zung­en und zu der Grün­dung von ex­trem na­ti­o­na­lis­tisch ge­präg­ten Or­ga­ni­sa­ti­o­nen kam. Es kul­mi­nier­te im Kapp-Putsch am 13. März 1920, le­dig­lich 37 Tage vor der Ver­eins­grün­dung, der Putsch miss­lang nach 5 Ta­gen. Die­ses the­ma­ti­sier­te die Reichs­tags­wahl am 6. Ju­ni 1920, wo die Bau­er-Ko­a­li­ti­on die ab­so­lu­te Mehr­heit ver­lor.

2. Frag­lich­es Ge­dan­ken­gut in den ers­ten Jah­ren

Die Mit­glie­der vom Ge­sel­len­ver­ein wa­ren Kin­der ih­rer Zeit. Sie wa­ren, wie in die nach­fol­gen­den Ab­schnit­te be­legt wer­den wird, kei­ne NSDAP-An­häng­er. Trotz­dem er­schei­nen in den Pro­to­koll­be­rich­ten in den frü­hen Jah­ren doch ein Paar selt­sa­me Äu­ße­rung­en wo man heu­te die Au­gen­brau­en et­was hoch­zieh­en muss.

Die ers­te sol­cher liest man in dem Pro­to­koll­be­richt über ei­ne Ver­samm­lung am 4. De­zem­ber 1924 [17]. Es wird nur knapp mit ei­nem Satz ein Vor­trag über Sin­ti und Ro­ma er­wähnt: „So­dann hält Mar­tin Arand ei­nen kur­zen Vor­trag mit klei­nen Vor­le­sung­en über Sit­ten, Ge­bräu­che und die son­der­ba­ren Ei­gen­schaf­ten fah­ren­der Völ­ker“.

Der In­halt die­ser „klei­nen Vor­le­sung­en“ geht nicht aus die­sem ei­nen Satz her­vor. Die For­mu­lie­rung „son­der­ba­ren Ei­gen­schaf­ten“ ist na­tür­lich etwas frag­lich; aus dem Kon­text ist aber nicht ein­deu­tig zu ent­neh­men, dass dies wirk­lich ab­wer­tend ge­meint war.

Der Be­richt über ei­nen Vor­trag vom 12. No­vem­ber 1925 [18] ist da­ge­gen ein­deu­tig. Pa­ter Jo­ach­im, Ver­tre­ter des kran­ken Prä­ses Pfar­rer We­nig, re­fe­riert über die Frei­mau­rer. Der un­ge­wöhn­lich aus­führ­liche Be­richt lehnt na­tur­ge­mäß die Frei­mau­rer ab. Da­mals gab es in Deutsch­land ei­ne ge­gen­sei­ti­ge Erb­feind­schaft zwischen der ka­tho­lisch­en Kir­che und den Frei­mau­rern, Erb­feind­schaft die auf die Ge­schich­te im 19. Jahr­hun­dert zu­rück geht und ih­ren Hö­he­punkt in den ers­ten Jah­ren vor dem ers­ten Welt­krieg hat­te. So­mit ist der Be­richt nicht un­be­dingt als ob­jek­tiv zu be­wer­ten, eben­so we­nig wie die pseu­do-sach­liche Hal­tung der Ge­gen­sei­te, die eben­falls von un­ter­drück­ten Emo­tio­nen ge­färbt war.

Das an sich hat nichts mit dem frag­lich­en Ge­dan­ken­gut zu tun, wel­ches Ge­gen­stand die­ses Auf­sat­zes ist. Man kann Nie­mand als „rechts-ra­di­kal“ ein­stu­fen, weil er ge­gen die Frei­mau­rer ist. Das Gift steckt in 3 Sätzen ziem­lich am En­de des Be­richts: „Sie hat aber auch ma­te­ri­ell die größ­ten Macht­mit­tel. Da­rum fin­den sich auch in ih­ren Rei­hen meis­tens nur Rei­che und Wohl­ha­ben­de. Da­durch kann man schlie­ßen, daß ihr be­son­ders vie­le Ju­den an­ge­hö­ren.“

Die ers­ten 2 Sät­ze sind ab­wer­tend ge­meint. Da­durch ist der 3. Satz ein­deu­tig an­ti­se­mi­tisch. Die­se Mei­nung war in Deutsch­land und in ganz Eu­ro­pa und in den USA da­mals üb­lich, kei­nes­wegs ei­ne Aus­nah­me oder NSDAP-Jar­gon.

3. Das Jahr 1923

Aus un­se­rer heu­ti­gen Kennt­nis vom wei­te­ren Ver­lauf der Ge­schich­te kann man das Jahr 1923 ge­trost als das Schick­sals­jahr Deutsch­lands über­haupt be­zeich­nen. Es gab die Be­set­zung vom Ruhr­ge­biet im Ja­nu­ar 1923, die Hy­per­in­fla­ti­on und, - aus un­se­rer heu­ti­gen Sicht -, der Hit­ler-Putsch am 8. No­vem­ber 1923 in Mün­chen, der Start sei­ner Kar­ri­e­re.

Um­so er­staun­lich­er ist es, das es in den Pro­to­koll­ein­trä­gen vom Ver­ein kei­ner­lei Be­zugs­punk­te auf die po­li­tisch­en Er­eig­nis­se die­ses Jah­res gibt. We­der die Be­set­zung des Ruhr­ge­bie­tes noch der Hit­ler­putsch wer­den mit ei­nem Wort er­wähnt. Das der Hit­ler­putsch da­mals hier in Han­no­versch Mün­den we­nig Staub auf­ge­wir­belt hat ist al­ler­dings gut er­klär­bar; Hit­ler war zu die­ser Zeit fast un­be­kannt, die An­ge­le­gen­heit wur­de wahr­schein­lich eher als rein bay­rische „Af­färe“ be­trach­tet. Bay­ern war da­mals auf und da­bei sich vom deut­schen Reich zu lösen [2].

Die­ses Ver­hält­nis zur NSDAP in Han­no­versch Mün­den in die­ser Zeit wird auch durch ei­nem Ar­ti­kel vom Stadt­ar­chi­var Ste­fan Schä­fer in der HNA vom 23. Fe­bru­ar 2013 be­stä­tigt [19]. Die NSDAP war in Preu­ßen zu die­ser Zeit so­gar ver­bo­ten und hat­te in Han­no­versch Mün­den kaum Ge­folg­schaft. Mün­den war fest in Hän­den der SPD, ge­folgt von Deutsch-Na­ti­o­na­len.

Die Hy­per­in­fla­ti­on da­ge­gen hat dem Ver­ein 1923 schwer zu schaf­fen ge­macht. An­fang und En­de:

In der Ver­samm­lung vom 4. Ja­nu­ar 1923 hieß es un­ter Punkt 2): „Der mo­nat­liche Bei­trag muß aber­mals er­höht wer­den. Um da­rü­ber den fort­schrei­ten­den, an­dau­ern­den Be­schlüs­sen aus dem We­ge zu ge­hen wird fest­ge­setzt, daß von jetzt ab der Bei­trag gleich dem Prei­se von 1 gr. Glas Bier sein soll, wie es auch in vie­len an­de­ren Ver­einen üb­lich ist. Es wird der zu An­fang des Monats be­steh­en­de Preis an­ge­nom­men, der z. Z. M 80,- be­trägt.“ [3]

In der Ver­samm­lung vom 27. Sep­tem­ber 1923 hieß es zum Schluss der Ver­samm­lung: „In Punkt Ge­müt­lich­keit wur­de ein Ge­sell­schafts­spiel vor­ge­schla­gen, das ei­ne Ein­nah­me von 25 Mil­li­o­nen Mark für den Haus­fond ein­brach­te. Um 11 Uhr war Fei­er­abend.“ [4]

Die Hy­per­in­fla­ti­on wur­de letzt­end­lich durch die Wäh­rungs­re­form am 15. No­vem­ber 1923 ge­stoppt. In der Ver­samm­lung vom 6. De­zem­ber 1923 wird der Ve­reins­bei­trag auf 15 Pf für Ge­sel­len und 10 Pf für Jüng­linge (Gold­mark!) fest­ge­setzt. [5]

4. Die Jahre 1924 bis 1933

Der ers­te Kon­flikt mit rechts-ex­tre­men Grup­pie­rung­en in Deutsch­land er­scheint das ers­te Mal am 26. Ju­ni 1924 [6] ex­pli­zit in ei­nem Pro­to­koll­be­richt, Aus­schnitt:

3) An­läß­lich der Fah­nen­weihe in Seu­ling­en fand ei­ne Vor­stän­de­sit­zung statt. Hier­über spricht un­ser Se­ni­or u. Bes. über den Vor­trag un­se­rer Stel­lung zu den na­ti­o­na­len Ver­bän­den: dem Jung­dtsch. Or­den, dem Stahl­helm, dem Reichs­ban­ner Schwarz-Rot-Gold u. a. . Dem­nach sol­len wir uns dem Jung-Deut­schen Or­den fern­hal­ten, weil er di­rekt auf sei­nen Pro­gramm ein deut­sches Chris­ten­tum, ein Los von Rom ver­langt. Auch an­de­ren ex­tre­men Ver­bän­den sol­len wir nie bei­tre­ten.“ (Die Fah­nen­weihe ist die Fah­nen­weihe vom be­freun­det­en K.G.V. in Seu­ling­en)

Die ge­nann­ten drei Or­ga­ni­sa­ti­o­nen wa­ren zu der Zeit drei von vie­len in Deutsch­land. Sie hat­ten mit der NSDAP, der Par­tei Hit­lers, nichts zu tun. Die gab es zwar schon seit 1919 und hat sich ab 1920 NSDAP ge­nannt, war aber in die­ser Zeit le­dig­lich in der Um­ge­bung von Mün­chen be­kannt und ak­tiv. Sie kommt in den Be­schrei­bung­en vom Kapp-Putsch nir­gend­wo vor.

Das ist auch lo­gisch; die deutsch-na­ti­o­na­le Or­ga­ni­sa­ti­o­nen die in die­ser Zeit den Ton in Deutsch­land an­ge­ge­ben ha­ben und un­ter an­de­rem für den Kapp-Putsch ver­ant­wort­lich zeig­ten, wa­ren durch­weg bür­ger­lich ge­stimmt. Die NSDAP da­ge­gen hat sich im­mer als ra­di­kal so­zia­lis­tische Par­tei ver­stan­den. Sie pro­pa­gier­te ei­nen na­ti­o­na­len So­zia­lis­mus als Ge­gen­pol zum glo­ba­len „bol­sche­wis­tisch­en“ Kom­mu­nis­mus.

Auch die Or­ga­ni­sa­ti­on Con­sul, aus den Fol­gen des miss­lung­en­en Kapp-Put­sches als „Un­ter­grund“-Or­ga­ni­sa­ti­on ent­stan­den und für die schreck­lich­en po­li­tisch­en Mor­de in der Fol­ge­zeit ver­ant­wort­lich, war bür­ger­lich und hat­te mit die­sen „So­zia­lis­ten“ nichts am Hut.

Der Un­ter­schied wird am deut­lichs­ten bei der Or­ga­ni­sa­ti­on Stahl­helm.

Die­se pa­ra­mi­li­tä­rische Or­ga­ni­sa­ti­on, an­ti­de­mo­kra­tisch und an­ti­re­pu­bli­ka­nisch, aus früh­e­ren Front­sol­da­ten ge­bil­det, war von vorn­her­ein au­to­ri­tär und eli­tär denk­end. Sie hat sich im­mer klar ge­gen die NSDAP ab­zu­gren­zen ver­sucht, wur­de zum Schluss auch von der SA ent­waff­net und von Hit­ler „gleich­ge­stellt“, das heißt, auf­ge­löst [7]. Ge­ra­de um sich von der NSDAP ab­zu­gren­zen be­zeich­nete der Stahl­helm sich als „fa­schis­tisch“.

Der Stahl­helm war aber ge­nau­so wie der Jung­deut­sche Or­den an­ti­se­mi­tisch und ge­walt­tä­tig [10].

Be­mer­kens­wert ist der Grund für den Jung­deut­schen Or­den, wes­we­gen der Vor­stand be­un­ruhigt ist und zum Fern­hal­ten rät: Er er­wähnt kor­rek­ter­wei­se das ma­ni­fes­te Ein­tre­ten die­ser Or­ga­ni­sa­tion für ein „deut­sches“ Chris­ten­tum, al­so ge­gen den glo­bal den­ken­den Ka­tho­li­zis­mus [10].

Bei dem Ban­ner Schwarz-Rot-Gold, eben­falls aus frü­he­ren Front­sol­da­ten her­vor­ge­gang­en, do­mi­nier­te die SPD, war aber über­par­tei­isch und ver­stand sich als Stüt­ze der SPD/Zen­trum/DDP-Re­gie­rung un­ter Gus­tav Bau­er. Es gab, zu­min­dest am An­fang, auch Zen­trum- und DDP-Sym­pa­thi­san­ten da­run­ter und auch jun­ge Leu­te aus dem Ka­tho­lisch­en Ge­sel­len­ver­ein (K. G. V. = Kol­ping)! – [10].

Aus ei­nem Pro­to­koll­be­richt vom 27. Sep­tem­ber 1923 geht her­vor, dass der K.G.V. da­mals kei­ner­lei Be­rüh­rungs­ängs­te zu der SPD (bzw. Ar­bei­ter­or­ga­ni­sa­ti­o­nen) hat­te, un­ter Punkt c) heißt es dort: „Ein wöchent­lich ein­mal statt­fin­den­der Übungs­abend für die Ge­sangs-Grup­pe soll jetzt durch­ge­führt wer­den. Nach Rück­spra­che mit dem Ver­wal­ter des Ar­bei­ter-Bil­dungs-Heims ha­ben wir ein Zim­mer des­sel­ben für Diens­tags Abend je­der Woche ge­gen ein ge­wis­ses Ent­gelt und Kos­ten­tra­gung der Be­leuch­tung und fer­ner im Win­ter ge­gen Stel­lung der Hei­zungs­ma­te­ri­a­li­en zur Ver­­gung ge­stellt be­kom­men. Es wur­de be­schlos­sen in der ers­ten Ok­to­ber-Woche bei dem Mit­glie­de A. Büh­ring und dann re­gel­mäs­sig im Ar­bei­ter-Bil­dungs-Heim zu pro­ben.“ [8]. Wa­rum die Vor­stän­de ge­gen dem „Ban­ner“ war­nen ist also un­klar. Das steht auch im Wi­der­spruch zu ei­nem Ein­trag im Pro­to­koll­buch vom 14. Mai 1925 [9]. Un­ter ver­schie­de­nes heißt es dort: „b) Zu­ge­­rig­keit zu po­li­tisch­en Or­ga­ni­sat. Jos. Schä­fers er­kun­digt sich bei Wink­ler in der Zen­tra­le ob er als Mit­glied des Ge­sel­lenve­reins dem Reichs­ban­ner an­ge­­ren darf. Wink­ler gibt be­ja­hen­den Be­scheid, wäh­rend nach dem Di­o­ze­san­sta­tut vom 1. u. 2. No­vem­ber 1924 den Mit­glie­dern die Zu­ge­­rig­keit zu je­der polit. Or­ga­ni­sa­ti­on ver­bo­ten ist. Der Se­ni­or wird da­rauf hin be­auf­tragt, in Cöln u. Han­no­ver Rück­fra­ge zu hal­ten.

Mit „po­li­tische Or­ga­ni­sa­ti­o­nen“ sind hier wohl kaum „po­li­tische Par­tei­en“ ge­meint son­dern eben Or­ga­ni­sa­ti­o­nen wie die er­wähn­ten. Aus den nach­fol­gen­den Pro­to­koll­ein­trä­gen geht die Ant­wort aus Köln oder Han­no­ver nir­gend­wo her­vor. Eben­so wie in spä­te­rer Zeit, En­de der Zwan­zi­ger Jah­re, als das In­te­res­se für den „Ban­ner“ von Sei­ten au­ßer­halb der SPD schwand. In die­ser letz­ten Zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik war der „Ban­ner“ mit sei­ner pa­ra­mi­li­tä­risch­en Or­ga­ni­sa­ti­on der wich­tigs­te Geg­ner der SA auf der Stra­ße. Es ist mög­lich­er­wei­se die Ge­walt­tä­tig­keit die Ur­sache für die Ab­nei­gung durch Zen­trums-An­häng­er, die ih­ren An­sprüch­en nach auf fried­lich­en Aus­gleich aus wa­ren.

Man muss da­zu be­mer­ken, dass der Ver­ein in den Jah­ren 1925-1927 schwer mit sich selbst zu tun hat­te. Der Kauf vom Con­cor­dia 1924 hat den Ver­ein fi­nan­ziell stark ins Schleu­dern ge­bracht, mit un­schö­nen Strei­tig­kei­ten wel­che die Ein­trä­ge in den Pro­to­koll­bü­chern in die­ser Zeit voll in Be­schlag nah­men. Es gab kaum noch Platz für po­li­tische Dis­kus­sio­nen.

5. Die Nazi­zeit

Die re­li­giö­sen Vor­stel­lung­en des Jung­deut­schen Or­dens und eben­so der An­ti­se­mi­tis­mus rückt die­se Or­ga­ni­sa­ti­on in die Nä­he der NSDAP, die eben­falls für ei­ne „Deut­sche Re­li­gion“ und das „Lö­sen der Ju­den­fra­ge“ ein­tritt, letz­te­rer Be­griff wur­de zu­erst vom Jung­deut­schen Or­den ver­wen­det.

Es ist erst die spä­te­re Macht­do­mi­nanz der SS die die NSDAP auf ei­nen athe­is­tisch­en Kurs brach­te. In der An­fangs­zeit war die NSDAP sehr stark von ok­kul­tem Aber­glau­ben ge­prägt, der in der Zeit vor dem ers­ten Welt­krieg das Den­ken der Deutsch-Na­tio­na­len stark be­ein­flusst hat [12]. Das ok­kul­ter Glau­be, man nennt es heu­te Eso­te­rik, be­son­ders in den zwan­zi­ger Jah­ren in Deutsch­land Hoch­kon­junk­tur hat­te, geht auch in­di­rekt aus 2 Protokolleinträgen En­de 1925 her­vor. Weil der Prä­ses (Pfar­rer We­nig) zu die­ser Zeit krank und wahr­schein­lich wohl in der Kur war, ver­tritt ihn Pa­ter Bött­ger. Die­ser hält es für nö­tig, 2 ab­leh­nen­de Vor­trä­ge zu die­sen Strö­mung­en zu hal­ten, die er ganz deut­lich als neu­mo­disch be­zeich­net, (am 22. Ok­to­ber 1925, [15]): „Auf Grund per­sön­lich­er Er­fah­rung­en und spe­ziel­len In­te­res­ses für die­ses die Jetzt­zeit so sehr be­we­gen­de Ge­biets schil­der­te er in ge­wohn­ter pa­cken­der Wei­se das Un­we­sen die­ses neu­zeit­lich­en Bilds und weiß all die­se ge­hei­me Kräf­te, wie Okul­tis­mus, Spi­ri­tis­mus, Hyp­nose, die Tä­tig­keit und die Er­fol­ge der Wün­schel­rute, das Tisch­klop­fen, Be­fra­gen des Ora­kels, das Kar­ten­le­gen usw. auf ei­ne voll­kom­me­nen na­tür­liche Ent­steh­ung, fast im­mer un­ter er­höh­ter Ein­wir­kung auf das mensch­liche Ner­ven­sys­tem, zu­rück­zu­füh­ren. Er kenn­zeich­net uns wei­ter die Stel­lung der Kath. Kir­che da­zu und be­merkt daß Papst Pius X je­de Be­tei­li­gung zu spi­ri­tis­tisch­en Ver­samm­lung­en ver­bo­ten ha­be.“. Und am 29. Ok­to­ber 1925, über das The­ma „Me­di­um“ [16]: „Red­ner be­han­delt die­ses The­ma wie­de­rum in ge­wohn­ter, er­schöp­fen­der Wei­se. Meis­tens sei­en es Frau­en, die als Me­di­um ge­braucht wer­den. Herr Pa­ter er­zählt uns von 3 be­rühmt ge­wor­de­nen Me­di­en, die es ver­mit­telst ih­rer zwei­fel­haf­ten Kunst im­mer wie­der ver­stän­den, die Dumm­heit des Men­schen zu ih­ren ei­ge­nen - be­son­ders fi­nan­ziel­len - Vor­teil aus­zu­nüt­zen. Aber im­mer wie­der wird ihr Schwin­del und Be­trug auf­ge­deckt. Ei­nen zwei­fel­haf­ten Cha­rak­ter er­hal­te ihr „Ge­wer­be“ schon al­lein da­durch, daß sie es nur in dunk­len oder bei ge­dämpf­tem Licht aus­üben.

Auch wenn Hit­ler sich vor al­lem nach dem miss­lung­enem An­schlag vom 20. Ju­li 1944 in sei­ner Re­de die­ses Miss­ling­en als Zei­chen der „Vor­seh­ung“ an­gibt, Ori­gi­nal­text: „Ich sel­ber dan­ke der Vor­seh­ung und mei­nem Schöp­fer, daß er mich er­hal­ten hat - mein Le­ben ist nur Sor­ge und ist nur Ar­beit für mein Volk -, son­dern ich dan­ke ihm nur des­halb, daß er mir die Mög­lich­keit gab, die­se Sor­gen wei­ter tra­gen zu dür­fen und in mei­ner Ar­beit wei­ter fort­zu­fah­ren, so gut ich das vor mei­nem Ge­wis­sen ver­ant­wor­ten kann.“ [13], ist das kei­nes­wegs ein Be­weis da­für, dass Hit­ler hier Sym­pa­thie für christ­liche Re­li­gio­nen ge­habt hät­te.

Es ist be­legt, dass vor al­lem nach Sta­lin­grad, wenn die SS ver­stärkt in Macht­po­si­ti­o­nen en­ga­giert wur­de, für das Be­set­zen von wich­ti­gen Pos­ten Par­tei­funk­tio­nä­re ei­ne „Ge­sin­nungs­prü­fung“ der Kan­di­da­ten vor­neh­men muss­ten. Die­se um­fass­te auch die re­li­giö­se Ge­sin­nung. Es ist zwar his­to­risch be­legt, dass dies kei­ne zwing­en­de Vo­raus­set­zung war, aber wenn man Kar­ri­ere mach­en woll­te, wur­de ei­nem na­he ge­legt, aus der Kir­che aus­zu­tre­ten [14].

Be­rich­tet wird in die­sem Zu­sam­men­hang ty­pisch­er­wei­se von ei­nem Kol­pings­bru­der (sein Name wird aus Rück­sicht auf sei­ne Fa­mi­lie nicht ge­nannt), wel­cher der SS bei­ge­tre­ten und aus der Kir­che aus­ge­tre­ten war. Zu sei­nen früh­eren Freun­den von Kol­ping hat er groß­mäu­lig ge­sagt: „Euch krie­gen wir auch noch he­ran, wenn der Krieg vor­bei ist.“ Nach dem Krieg kam be­sag­ter beim Pfar­rer an­ge­kro­chen und woll­te wie­der in die Kir­che ein­treten … [21]

So­mit ist es auch ver­ständ­lich, dass das Pro­to­koll­buch III, wel­ches im Ok­to­ber 1930 an­ge­fan­gen wor­den war, 1933 bei der Macht­über­nah­me ver­nich­tet wor­den ist. In den Ver­samm­lung­en wur­den häu­fig Vor­trä­ge und Dis­kus­sio­nen über die ak­tuel­le po­li­tische La­ge ab­ge­hal­ten. Lei­der sind die In­for­ma­tio­nen für die Zeit von 1930–1933 eben auch nicht mehr da.

In der Zeit von 1933 bis 1945 hat der Ver­ein ein Schat­ten­da­sein ge­führt. Das Kol­ping­haus „Con­cor­dia“ wur­de in die­ser Zeit von 28. April 1938 an und bis 1942 von den Schwes­tern Ol­ga Gör­res und Fran­zis­ka Arand (geb. Gör­res), nach dem Tod ihres Vaters, der Haus­meis­ter (=Gast­wirt) Hu­bert Gör­res, als ein­fache Knei­pe wei­ter­ge­führt [20]. Nach Sta­lin­grad hat Jo­seph Göb­bels be­kannt­lich den „To­ta­len Krieg“ aus­ge­ru­fen, was sich da­rin äu­ßer­te, dass sämt­liche Knei­pen ge­schlos­sen wur­den weil sie nicht „kriegs­wich­tig“ wa­ren. Nach Aus­sa­gen von Kol­pings­bru­der Karl-Heinz Böh­mer, in den Kriegs­jah­ren ju­gend­liche in Han­no­versch Mün­den, zog da­mals der NSKK (Na­tio­nal-So­zia­lis­tisch­es Kraft­fah­rer­korps) als „Mie­ter“ ein. Karl-Heinz: „Die haben nie­mals Mie­te be­zahlt. Die ha­ben im­mer ge­nom­men, was sie brauch­ten“ [21].

Vie­le Ver­eins­mit­glie­der, von Na­tur aus junge Män­ner, muss­ten in den Krieg zie­hen und vie­le sind da­raus auch nicht wie­der­ge­kehrt …

Jo­seph Le­moine, Ar­chi­var (2013)

Kol­pings­fa­mi­lie Hann. Mün­den

Quel­len-Nach­weis:

[1] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Seite 53 bis 55
[2] Wi­ki­pe­dia zum The­ma „Hit­ler­putsch
[3] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 140
[4] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 158
[5] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 162
[6] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 176 bis 176
[7] Wi­ki­pe­dia zum The­ma „Stahl­helm
[8] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 158
[9] Pro­to­koll­buch II (1925–1930) Sei­te 2
[10] Wi­ki­pe­dia zum The­ma „Jung­deut­scher Or­den
[11] Wi­ki­pe­dia zum The­ma „Reichs­ban­ner Schwarz-Rot-Gold
[12] Wi­ki­pe­dia zum The­ma „NSDAP
[13] Zi­tat ko­piert aus den Tage­bü­chern Fried­rich Kell­ners „Ver­ne­belt, ver­dun­kelt sind al­le Hir­ne“, auf Seite 755 ist die Rede A. Hit­lers vom 21. Ju­li 1944 ab­ge­druckt
[14] Ta­ge­bü­cher Fried­rich Kell­ners „Ver­ne­belt, ver­dun­kelt sind al­le Hir­ne“, Seite 376 (Eintrag vom 15. Ja­nuar 1943)
[15] Pro­to­koll­buch II (1925–1930) Sei­te 20
[16] Pro­to­koll­buch II (1925–1930) Sei­te 21
[17] Pro­to­koll­buch I (1920–1925) Sei­te 187
[18] Pro­to­koll­buch II (1925–1930) Sei­te 27
[19] Stadt­ar­chi­var Stefan Schä­fer in der HNA vom 23. Fe­bru­ar 2013
[20] Nach­trag vom 28. April 1938 zum Ver­trag mit H. Gör­res, beide Do­ku­men­te sind in un­se­rem Ar­chiv er­hal­ten
[21] Karl-Heinz Böh­mer, münd­lich 2012